Einen spannenden und interessanten Nachmittag erlebten die Kirchenvertreter*innen und Vertreter*innen des Landvolk Bezirksverbandes Stade bei ihrem alljährlichen Treffen zwischen Kirche und Landwirtschaft auf dem Rittergut von Hammerstein in Bockel. Als Referent konnte der Agrarexperte Klaus John gewonnen werden, der einen beeindruckenden Einblick in seine Arbeit und sein Leben in Russland gab.
Als neuer Bezirksvorsitzender freute Alexander von Hammerstein sich, die Gäste zu der Veranstaltung „Kirche trifft Landwirtschaft“ auf seinem Hof in Bockel willkommen zu heißen. In seiner Begrüßung erzählte er, dass bereits vor 15 Jahren aus einer Bierlaune heraus, die Idee entstand, eine Biogasanlage aufzubauen, an dessen Fernwärmenetz auch das damalige Rehazentrum mit 350 Betten angeschlossen werden sollte. „Es war damals eine teure Schnapsidee, die sich aber gerade in der heutigen Zeit bewährt hat.“
Als Schweinemäster konnte er den Besucher*innen berichten, dass er gerade erst vier Stunden am Veredelungsausschuss teilgenommen habe. „Vier Stunden gab es nur negative Nachrichten.“ Insbesondere die Afrikanische Schweine Pest (ASP) bereite den Landwirten nach wie vor große Sorgen und Probleme.
Über die aktuelle Situation der Milchviehhalter*innen berichtete der Vorsitzende des Landvolk Kreisverbandes Wesermünde, Jan Heusmann. Als Weidetierhalter wies er auf die Wolfsproblematik hin. So seien die Jäger*innen bei der letzten Druckjagd angehalten worden, Wolfssichtungen sofort per Handy zu melden: 15 Wolfssichtungen kamen am Ende zusammen. Die große Anzahl der Wölfe und die zunehmenden Wolfsrisse hätte den damaligen Wolfsberater Hermann Kück so sehr schockiert, dass dieser sein Amt niederlegte. „Die Medien berichten gar nicht mehr über alle Wolfsrisse, es ist eine erschreckende Normalität eingetreten.“
Und obwohl die Produktions- und Betriebskosten gestiegen seien, hätten die Milchbauern und Milchbäuerinnen momentan noch ein auskömmliches Einkommen. „Aber wir merken auch, die Produktion wird nicht gesteigert, es herrscht eine große Verunsicherung bei den Kostensteigerungen.“ Insbesondere die Biobauern und Biobäuerinnen erlebten gerade einen Umschwung. Aufgrund sinkender Nachfrage seien hier die Preise deutlich gesunken.
Für die Obstbauern und Obstbäuerinnen im Alten Land war es ein sehr gutes Jahr, berichtete Johann Knabbe als Vorsitzender des Landvolkbauernverbandes Stade. Doch auch diese seien in großer Sorge. Der Anstieg des Mindestlohnes und die steigenden Strompreise würden die Personal- und Betriebskosten explodieren lassen. „Bei vielen steht die Überlegung im Raum im nächsten Jahr die Bäume nicht mehr zu ernten. Das ist wirklich dramatisch.“
Von einem Tag auf den anderen änderte sich das Leben des deutschen Agrarexperten Klaus John schlagartig. Bis zum 24. Februar 2022 lebte der Niedersachse 13 Jahre in einem russischen Dorf nahe der ukrainischen Grenze. Von 2008 bis 2019 arbeitete er zunächst als Crop Manager Prodimex und später als Leiter eines Modellbetriebes von Kamenka Prodimex. Bereits 2014 machte er sich mit seiner Firma agriXpert selbstständig, die Studienreisen nach Russland organisierte.
Der Landwirtschaftssektor in Russland sei mit der deutschen Landwirtschaft nicht zu vergleichen, betonte John. Prodimex, das zweitgrößte Unternehmen Russlands, würde eine Fläche von 900.000 ha bewirtschaften. Das seien zwei Drittel der gesamten Ackerfläche in Niedersachsen. Noch größer sei das Unternehmen Miratorg der Brüder Alexander und Viktor Linnikow, die 1.047.000 ha ihr Eigen nennen. „Diese Unternehmen sind mit Milliardenhilfen des Staates aufgebaut worden. Es herrscht Korruption ohne Ende. Doch wie sollen die riesigen Schlachthöfe und Molkereien mit den westlichen Sanktionen überleben?“ Zudem sei seit den 90er Jahren nicht mehr in die Ausbildung investiert worden, es fehle also zunehmend an qualifizierten Landwirt*innen. „Der Agrarsektor in Russland ist aber so groß, dass wir den nicht vergessen dürfen, gerade auch in Hinsicht auf die Welternährung.“
Nach dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine habe er sich dazu entschieden, dass Land zu verlassen. „Am meisten hat es mich geschmerzt, dass es plötzlich Barrieren zwischen meinen russischen Freunden und mir gab.“ Aber wenn man täglich aus den Medien eine andere Geschichte zu hören bekäme, könne man es den Russen nicht verübeln, dass sie hinter ihrem Land stünden.
Er forderte dennoch, weiterhin einen faktenbasierten Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten. „Wir haben eine globale Verantwortung für das Wohl aller Menschen. „Deswegen ist es wichtig, sich auf unsere Resilienz zu besinnen und sich nicht von unserer Aufgeregtheit lenken zu lassen.“ Denn trotz aller Sorgen bezüglich Inflation, Strom- und Gaspreise dürften wir nicht vergessen, dass es Deutschland insgesamt sehr gut ginge. Deswegen sei es wichtig, sich manchmal daran zu erinnern, „ja, es kommen große Herausforderungen auf uns zu“, aber die Menschen in der Ukraine stünden vor dem Nichts und in Afrika drohe eine der größten Hungersnöte. „Hoffnung machen mir die Gespräche mit jungen Menschen, die positiv in eine friedliche globale Welt blicken.“
In seiner Andacht ging der Regionalbischof des Sprengels Stade Hans Christian Brandy auf das Erntedankfest ein, das in diesem Jahr nicht unbeschwert gefeiert werden könne. Nach dem ersten Schock über die Nachrichten des russischen Angriffskrieges, sei bei einigen eine gewisse Gewöhnung eingetreten. „Aber wir dürfen uns nicht an das himmelschreiende Unrecht dieses Krieges gewöhnen und an das Leid der Menschen in den Kriegsgebieten“, forderte Brandy.
Alles was früher als selbstverständlich angesehen wurde, wie Gesundheit, Friede, Wohlstand, sei heute plötzlich nicht mehr selbstverständlich. „Vor zwei Generationen war es völlig normal, dass es nicht überall im großen Haus warm war. Aber wer hätte gedacht, dass wir das noch mal erleben.“
Gerade in dieser Zeit sei es umso wichtiger, dass Erntedankfest zu nutzen, innezuhalten und festzustellen, dass es uns trotz alle Lasten immer noch gut gehe. Es sei außerdem wichtig auch Gott nicht zu vergessen. „Das ist vielleicht die Pointe des Erntedankfestes. Alles was ihr habt und seid, was ihr erntet, ja, natürlich ist das viel menschliche Arbeit und Kunstfertigkeit. Aber es ist doch auch immer noch Gabe eines anderen, ist ein unverfügbares Geschenk.“ Für ihren wichtigen Beitrag für unsere Ernährung wie für den Erhalt der Kulturlandschaft richtete Hans Christian Brandy den anwesenden Landwirt*innen seinen ausdrücklichen Dank aus.
„Wer dankbar ist, weiß die Dinge, die er hat, mehr zu schätzen. Studien haben gezeigt, dass dankbare Menschen sogar optimistischer, vitaler und gesünder sind als andere.“ Zudem ändere ein dankbares Leben unser soziales Verhalten. „Dazu kann der Glaube eine große Hilfe sein. Wer sich von Gott gehalten und getragen weiß, der kann den Widrigkeiten besser widerstehen.“ Der Regionalbischof bat darum, immer auch an den Nächsten zu denken. Sei es an die Menschen in der Ukraine, die Geflüchteten oder auch diejenigen, die durch die Preiserhöhungen wirklich in Not geraten - diese Menschen benötigten unsere Hilfe. „Für all das ist es gut, Halt und Orientierung in Gott zu haben. Dafür ist es gut, Gott nicht zu vergessen, und dankbar die Augen offen zu halten für das, was er schenkt. Nicht nur am Erntedankfest.“